Innehalten mit Literatur

Carl Spitzweg, “Sonntagsspaziergang”

Die im KastanienHaus am Wall beliebte Literaturfreundin, Frau Lilo Marx, möchte auch andere an ihrer Freude an einem klassischen Text zum Frühling von Johann Wolfgang von Goethe teilhaben lassen.  Sie schreibt: “Ich denke, dass der Osterspaziergang von Johann Wolfgang von Goethe aus Faust 1, geschrieben 1806 für die momentane Krisensituation die nötige Erheiterung bringen kann, das Aufblühen der Natur, das uns letztlich doch das Paradies auf Erden zeigt – es ist nicht aufzuhalten…das sehen wir täglich, die Augen und die Seele können spazieren gehen! Der alte Winter, auch hier Symbol für das Schwere, Dunkle, die Einsamkeit verschwindet allmählich und der Frühling, die neue Kraft setzt sich mit all ihrer Pracht und ihren Farben durch. Ich habe ein Bild  von Carl Spitzweg den “Sonntagsspaziergang” eingefügt, ich liebe ihn sehr, er lebte von 1808 bis 1885, Goethe von 1749 bis 1832.”

Hier zum Lesen und Anhören in “Gesprochene deutsche Lyrik”

Osterspaziergang

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale grünet Hoffnungsglück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dort her sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurückzusehen.
Aus dem hohlen, finsteren Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straße quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle an’s Licht gebracht.

Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluß in Breit’ und Länge
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet groß und klein;
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!

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